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re:publica 2019: Einige sagen Festival

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Festival.

Das ist so ein Modebegriff geworden. Alles und jeder will ein Festival sein – oder als Marke auf einem ebensolchen präsent sein.

Das ist nicht verwunderlich, Musikfestivals sind von der Schlammschlacht für Wirkungstrinker zum Familienevent geworden, friedliches Zusammensein in der Masse zielt ins Herz gemeinschaftssuchender Millennials.

Auch Konferenzen wollen Festivals sein, seit die SXSW in Deutschland entdeckt wurde, jene einzigartige Mischung aus Musik, Film und Digital. Wie sehr diese Vokabel missbraucht wird zeigt wohl, dass selbst die Cebit sich „Festival“ nannte – und bei der einzigen Ausgabe unter diesem Vokabeldach auf immer im Maschsee versank.

Die re:publica dagegen drückt sich um diesen Begriff herum. Auf der Webseite nennt sie sich ganz klar „Konferenz“. Und bei ihrer jüngsten, der 13. Ausgabe wiesen die Erklärplakate neben den Bühnen nur darauf hin, dass „einige“ es Festival nennen.

Doch könnte es sein, dass wir in einigen Jahren auf jene rp19 zurückblicken und sagen: „2019, da hat es angefangen, da wurde die re:publica zum Festival“.

Schon immer war Deutschlands wichtigste Digitalkonferenz ja mehr als eine Konferenz. Seit Jahren wächst der Makerspace, seit zwei Jahren gibt es richtig gute Konzerte und auch die Ausstellungsfläche wird immer interessanter.

Doch in diesem Jahr erweiterte sich die re:publica in neue Dimensionen. Im Park des Technikmuseums gab es ein Flugtaxi (nein, hob nicht ab) zu besichtigen, E-Scooter konnten getestet werden, etliche neue Talkvarianten und eine Recruiting-Messe wurden erprobt, Podcast-Aufzeichnungen waren das neue Schwarz und mit der Jugendkonferenz Tincon wurde ein neues Publikum angedockt.

Gerade letzteres war erfrischend. Für Menschen über 21 war dabei nur die große Bühne der Tincon erreichbar, ansonsten blieb die Zielgruppe unter sich. Auf dieser Bühne gab es etliche, tolle Momente, von Sophie Passmann bis Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer. Ich fände es wünschenswert, die Tincon noch stärker zu integrieren und deren Publikum mit den re:publicanern zu mischen.

Waren die vergangenen ein, zwei, drei Ausgaben der rp eher düster, so drehte sich in diesem Jahr die Stimmung ein wenig, wurde optimistischer oder zumindest gelassener gegenüber jenen Themen, die viele Menschen sorgen.

Stellvertretend sei hier der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zitiert: „Es gibt da draußen ein Duell der Dystopiker… Ich halte das für ein ernsthaftes Problem. Denn irgendwann wird aus den Warnungen der Totalpessimismus und daraus die Entmutigung der Engagierten.“

Oder Technikphilosoph Gunter Dueck, der zu Beginn seines Vortrags sagt: „Menschen schauen auf ihr Smartphone und sehen für einen Moment glücklich aus – das wird oft übersehen.“

Mein persönlicher Höhepunkt war der Vortrag des Politologen Torben Lütjen von der Vanderbilt University. Seine These: Der neue Populismus ist nicht autoritär veranlagt – wie Populismus bisher – sondern antiautoritär. Deshalb werde es ihm nicht gelingen, eine Gleichschaltung der Bevölkerung zu erreichen, worauf der Faschismus ja abzielte. Auch hier: Das macht den Populismus nicht schön, nimmt der Debatte aber ein Stück weit die Panikkomponente.

Selbst Klimaforscher Johan Rockström blieb, in Relation zur Dringlichkeit des Themas, vergleichweise optimistisch und hält eine maßgebliche Klimawende noch für möglich – wenn schnell etwas passiert.

Natürlich gab es Tiefpunkte. Über eine von Cherno Jobatai moderierte Veranstaltung zur Europawahl (die Teil der angekoppelten Media Convention war) mit Edmund Stoiber und Eko Fresh auf der Bühne schrieb die „Nordwest-Zeitung“, es sei ein „peinlicher Auftritt“ gewesen und: „Die Veranstaltung „#gehwählen – Europawahl 2019“ ist gerade einmal zwei Minuten alt, und schon macht sich der Eindruck breit, dass die Frage „Wer ist von Cherno Jobatey genervt?“, die meiste Zustimmung gefunden hätte.“

Auch hätte ich nie gedacht, auf der re:publica noch einmal einen Sprecher zu erleben, der bei dem Thema, über das er spricht, derart unwissend daher kommt, ohne es zu merken, wie Günther Oettinger 2016. Doch Axel Voss belehrte mich eines Besseren. Der CDU-Europaparlamentarier und Vorsprecher des desaströsen neuen Urheberrechtes schaffte nicht, was 2017 Thomas de Maizière gelang: Respekt zu erringen. Während der damalige Innenminister kompetent und kundig auftrat, gelang dies Voss zu keiner Sekunde.

Er debattierte mit Netzpolitik- und re:publica-Gründer Markus Beckedahl und schon recht früh begann das Facepalming. Zum Beispiel verwies Beckedahl auf die Voss’sche Behauptung, nur ein bis fünf Prozent aller „Plattformen im Internet“ seien vom neuen Urheberrecht betroffen.

Beckedahl: „Haben sie die gezählt?“

Voss: „Natürlich nicht.“

Und wie kommt dann solch eine Zahl zustande?

Voss‘ Grundhaltung erinnerte an die Denkstrukturen von Veschwörungstheoretikern: Wer anderer Meinung ist, hat den Sachverhalt einfach nicht verstanden. Auch auf simpelste Fragen konnte er keine Antwort liefern, schien sie teilweise nicht einmal zu verstehen. So jene nach der Verteilung der Gelder aus eventuellen Lizenzabkommen. Vollends zum Lauch machte sich Voss, als er um Vorschläge bat, wie nun die Vorgaben umgesetzt werden sollten – bei jenen, die (wie ich) bei Europaparlamentariern anriefen und dort von deren Mitarbeitern erklärt bekamen, dass die Parlamentarier auch etwas anderes zu tun hätten, als mit Bürgern zu reden (in meinem Fall legte eine Mitarbeiterin sogar im Gespräch wortlos auf).

Womit wir bei einem traurigen Comeback der rp19 wären: den Handreichungs-Journalisten.

So nenne ich jene Berichterstatter, die so vorhersehbar die re:publica abwerten, dass man zuvor schon ihre Argumente aufschreiben kann. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, verfasste ich 2014 aus all den Vorberichten der Jahren zuvor eine Handreichung für Journalisten.

Jene Zeit glaubte ich überwunden – doch so kann man sich täuschen.

Beispiel: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Sie konstruierte Axel Voss zum Sieger jener Debatte und drehte Fakten komplett um. So hatte ja Voss behauptet, es sei künftig erlaubt, fremde Texte auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen, wenn diese privat sei. Dies wurde in Berlin auch angesprochen, doch die „FAZ“ drehte die Situation um:

„Es sei heute zum Beispiel „leider vollkommen illegal“ auf einer privaten Homepage einen fremden Text zu veröffentlichen. Und es werde sehr teuer, wenn man ein Foto mit einer falschen Lizenzangabe veröffentliche. Warum genau es legal sein sollte, fremde Texte und fremde Bilder auf seiner Homepage zu veröffentlichen, erklärt Beckedahl leider nicht – und Moderator Schück, der sichtlich auf der Seite des Publikums ist, fragt auch nicht danach.“

Jener Moderator – ZDF-Mann Jo Schück – war übrigens brilliant und piekste beide Seiten und dies kundig und gut vorbereitet.

Auch die „NZZ“ urteilte mit einer Geschwindigkeit, als gelte es bei einer Tele5-Gameshow den Buzzer zu drücken um eine Reise nach Cuxhaven-Duhnen abzuräumen. Schon am ersten Abend der rp19 erklärten die Schweizer: „Es gibt kaum einen Ort mit weniger Meinungsvielfalt.“ Fest machte dies Autor Marc Felix Serrano an einem Panel zum Thema „Heimat“, das mehrere Menschen, die ich kenne für misslungen hielten.

Dieses Panel belegte das erste Zeitfenster des Programmplanes am ersten Tag. Was hat sich Serrano danach angeschaut? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen – und was er nicht erwähnt: Die ersten drei Abschnitte des Textes beschäftigt sich der NZZ’ler mit der Eröffnungsrede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die er nicht besucht haben kann, wenn er zeitgleich jener Heimat-Debatte lauschte…

Oh, haben Sie gerade auch diesen Schatten am Bildschirmrand vorbeihuschen gesehen? War das Claas Relotius?

Nein, sicher nur eine optische Täuschung.

Noch ein Beispiel: die „Welt am Sonntag“. Sie schickte eine Autorin namens Hannah Lühmann aus dem Feuilleton. Und sie hatte so etwas von überhaupt keinen Bock, kam unvorbereitet zum letzten Tag (und zwar nur zum letzten Tag). Natürlich auch nicht zur ersten Session, frau ist Journalistin und Journalistinnen, erst recht im Feuilleton haben das Recht zur Ausschlafe.

Und dann schmiert sie Sätze hin wie „Ich höre mir eine Veranstaltung über nachhaltige Geschäftsmodelle an und notiere mir, auf dem Boden sitzend, den Satz eines Speakers: „Stell dir vor, eine große, fiese Firma will dein Geld.“

Wer war der Speaker? Weshalb notierte Lühmann gerade diesen Satz? Muss der Leser nicht wissen, scheiß der Hund drauf, von einer Autorin der „Welt am Sonntag“ darf der Leser doch bitte keinen Mehrwert erwarten, wenn sie sich gerade auskotzen will.

Jene wunderschöne Moby-Dick-Installation? „Gigantische Toilettenpapierrollen“ – hat die Dame schon mal gesehen, wie ihre Zeitung beim Druck aussieht? Genau. Sie sieht so aus. Der gedruckte Zeitplan der rp19, wie putzig: sie dürfte ziemlich die einzige Nutzerin gewesen sein, ist „gigantisch“ – übrigens ist sie flächentechnisch ungefähr so groß wie eine Ausgabe der „Zeit“.

Dann besucht Lühmann noch jene Stoiber-Wahlveranstaltung, erwähnt nicht, dass sie gar nicht zur re:publica, sondern zur Media Convention gehört, und findet Stoiber super. Doof findet sie dagegen die Frage „Wenn man die EU essen könnte, welches Gericht wäre sie?“, was ich voll unterschreibe. Allerdings hätte ich diese Frage nicht als „bemüht jung“ bezeichnet und erwähnt, wer sie stellte – Cherno Jobatey.

„Die Avantgarde von vorgestern“ steht über dem Artikel und ich habe selten ein Stück Journalismus, pardon „Journalismus“, gelesen, bei dem eine Autorin so borniert und vollkommen bocklos einen Text hinschluderte.

Doch es geht noch tiefer, wie die „Süddeutsche“ demonstrierte. Feuilleton-Autorin Karin Janker schwurbelt von „Rückzug in die Echokommer“, vom Treffen einer Filterblase der Gleichgesinnten oder dass den Rechten das Netz überlassen würde.

Wo war die Dame? War sie überhaupt journalistisch (was ja bedeutet ergebnisoffen und neugierig) auf dem Gelände? Hat sie eine(n) der afrikanischen RednerInnen gehört? Eines der Landwirtschaftspanels besucht? Wenigstens Sascha Lobos kämpferischen Aufruf mitbekommen?

Es gibt fast bizarre Zeilen in jenem Kommentar, zum Beispiel:

„Auf Twitter ist das Phänomen zu beobachten. Es gibt kaum Debatten zwischen unterschiedlich Gesinnten.“

Wieso reden wir denn dann über Hass im Netz? Es ist ja das Gegenteil der Fall: Gerade hier kollidieren höchst unterschiedliche Meinungen, mal zivilisiert, mal asozial.

Das Stück endet so:

„Es bedarf zur Verteidigung der Demokratie einer gehörigen Anstrengung, das Richtige im Falschen zu suchen: Die, die anders denken, nicht zu blockieren, sondern zu lesen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Für diese Anstrengung braucht es eine digitale Avantgarde, die in Schulen, Politik und Unternehmen ausstrahlt. Ansonsten bringt sie stets selbst hervor, was sie eigentlich hinterfragen wollte: Menschen, die während Vorträgen auf ihre Handys starren.“

Äh. Moment mal…

Genau das ist die Tincon. Also, bezogen auf die Schulen. Sie bringt Digitalthemen zu Schülern und tourt damit durch die Republik. Weiß Frau Janker das nicht? Hat sie mit den Macherinnen des Jugendmagazins Tierindir mal gesprochen, die auf der Tincon präsentierten – um nur ein Beispiel zu nennen ?

Dinge mal machen – das tat und tut das Publikum der re:publica auch schon seit dem ersten Tag. Beispiel in diesem Jahr: Ein Comic, der ganz simpel erklärt, was Künstliche Intelligenz und Maschinenlernen sind. Dieser Comic ist kostenlos herunterladbar und in gedruckter Form kaufbar – präsentiert wurde er auf der rp19.

Und wenn die re:publica keine Ausstrahlung in die Politik und Wirtschaft hat, warum wird sie vom Bundespräsidenten eröffnet? Warum kommen jedes Jahr Minister und andere Würdenträger? Warum kommen Unternehmen verstärkt und stellen sich der Debatte?

Der Text mutet an, als sei ein über zehn Jahre altes, verschollenes Stück aus dem Stehsatz nach langer Odyssee durch das Redaktionssystem verzottelt, schlecht gewaschen und intellektuell unterernährt wieder aufgetaucht. Passend zum Text von „Moby Dick“, der sich durch die Hallen zog, eine Art vergessener Schwippschwager des Weißen Wals.

Dies ist umso beschämender, als das Motto der rp19 ja „tl;dr“ lautete – also too long, didn’t read – und somit dazu aufforderte, sich mit den Details zu beschäftigen, genau hinzuschauen, in die Tiefe zu gehen.

Vielleicht aber ist der „SZ“-Kommentar nur ein Zeichen der Zeit.

In den Redaktionsstuben, das muss man ja so nennen, Stube, herrscht in diesen grauen Tagen Resignation. Viele, die gut und digital sind, fliehen. Allein in den vergangenen Tagen waren es in meiner Filterblase 6 Personen, die ich dieser Rubrik zuordnen würde, die sich von namhaften Verlagen verabschiedet haben – freiwillig und teils sogar ohne neuen Job.

Wer das nicht ist, also gut und digital, der macht das Internet halt verantwortlich für den Niedergang und für sein Stubentum. Hier wäre ein Zuherzennehmen von „tl;dr“ wünschenswert, denn wer diesen Aufruf zum Genauhinsehen ernst nimmt, der könnte sich fragen, wann das begann mit dem Auflagenverfall und die Antwort, Sie ahnen es, lässt den Kopf umparken, denn bereits Anfang der 80er sank die Zahl der verkauften Zeitungen in Deutschland, nach der Wende ging es dann stetig nach unten und wir erinnern uns in diesem Moment, dass ja die Wende keine digitale Revolte war, ja das World Wide Web erst einige Jahre später erfunden werden würde und nicht einmal Brandbeschleuniger war, für eine bereits laufende Entwicklung.

Doch den Kopf umparken, das mögen wir Menschen ja nicht, weshalb die allermeisten Journalisten bei diesem simplen Mythos des bösen Internets als Meuchler ihrer Arbeitsplätze und Boni und Reisemöglichkeiten herhalten muss. Weil aber „das Internet“ so schrecklich unkonkret ist, müssen die Internetten unter den Knüppel – und die treffen sich halt auf der re:publica.

Sie wird es wohl niemand recht machen können, die rp, der sich nicht auf sie einlässt. Der sich vor allem nicht einlässt auf diesen wundervollen, bunten Haufen Mensch, der redet über Thesen der Politikwissenschaften, den Einsatz von Internet im Roten Kreuz, New Work, das Run DMC-Logo als Meme, gutes und schlechtes im Essen oder die Faszination von Raumfahrt. Ich kenne keinen Ort, an dem ich so viele, unterschiedliche Personen treffe, Anzugträger und aktivistische Programmierer und Schüler und Studenten und Kleinkinder und Youtuber und Politiker und Podcaster und Afrikaner und Amerikaner und Europäer und Rollstuhlfahrer und Astronauten. Diversität ist kein Wunsch, sondern gefeierte Realität und am Ende singen 2000 Menschen gemeinsam die „Bohemian Raphsody“.

Wer in seiner Redaktionsstube die Tage verbringt, für den ist das vielleicht eine Filterblase (auch wenn es mir ein Rätsel ist, wie ein einigermaßen rational Denkender zu dieser Einschätzung kommen kann).

Ich möchte dann aber lieber eine passendere Formulierung finden. „Konferenz“ aber klingt so trocken, „Messe“ ist inhaltlich falsch und „Branchentreff“ zu ökonomisch.

Nein, ich nenne die re:publica ab jetzt:

„Festival“.

Nachtrag: Die Passagen zur „NZZ“ und „Welt am Sonntag“ wurden nachträglich am 13.5.19 ergänzt.

Der Beitrag re:publica 2019: Einige sagen Festival erschien zuerst auf Indiskretion Ehrensache.


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